Jaden & Fay

Oben auf seiner Feuerleiter bemühte Jaden sich, so leise wie möglich auszuharren. Gar nicht so einfach, so ein Sprint mit Instrumentenkoffern war doch beeindruckend anstrengend. Wäre es nach seinem Körper gegangen, hätte er wohl gehechelt wie ein Husky im Hochsommer, aber da musste er jetzt wohl oder übel erstmal durch.
Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war, von oben einen ihm bekannten Blondschopf zu sehen. Da er weder rannte noch flog, war wohl auch genug Zeit vergangen, dass der Polizist schon längst vorbeigekommen wäre - Wenn er denn den richtigen Weg eingeschlagen hätte. Jaden könnte sich jetzt ruhig verhalten, die meisten Menschen sahen schließlich nicht nach oben, aber eigentlich bezweifelte er, dass Fay ihn verpfeifen würde. Außerdem tat ihm immer noch Leid, wie sie in der Nacht davor auseinandergegangen waren.
"Hey, was meinst du, kann ich runterkommen oder besteht noch die Chance, dass der Officer doch in die richtige Richtung gelaufen ist?", rief er von oben herunter, machte sich aber schon wieder auf den Weg nach unten, bevor eine Antwort kam. Es war ja nicht das erste Mal, dass er so einem Verfolger entging, und entsprechend federte er sich auch ohne größere Probleme ab, als er das letzte Stück auf den Boden sprang und so grob neben Fay landete.

Als er eine ihm bekannte Stimme vernahm, blieb Fay stehen und blickte sich um, bis er Jaden entdeckte. Wieso rannte er eigentlich ständig in diesen Kerl hinein? "Schätze der Kerl irrt irgendwo anders in den Gassen umher", erwiderte er dann kühlmit verschränkten Armen. "Schlechter Tag?", fügte er dann noch hinzu, während er eine Augenbraue hochhob und leicht grinste. "Irgendwann wirst du wohl doch noch auf der Strasse landen, ohne alles."
So war es besser, offensichtlich hatte er tatsächlich zu seiner alten Form gefunden. Dieser hochnäsige Kerl, der sich einen Dreck um die Gefühle anderer scherte, das war schliesslich immer noch seine richtige Art. Sicher, gestern hatte er kurz die Kontrolle verloren, aber nochmal würde ihm das sicher nicht passieren. Schon gar nicht in Gegenwart dieses Musikers, den er ja im Grunde kaum kannte.

"Eh", antwortete Jaden und zuckte die Schultern. "Ist nicht mein erster Zusammenstoß mit dem Kerl, und wird garantiert nicht der letzte sein. Und noch hab' ich meine Wohnung nicht dran verloren, von daher bin ich optimistisch."
Kurz streckte er sich. "Auch, wenn mir das jetzt wohl oder übel ein paar Stunden Freizeit eingebracht hat." Wenigstens schien Fay nicht wütend wegen letzter Nacht zu sein. Immerhin etwas. Stattdessen benahm er sich, als hätten sich das im Park nie zugetragen; schien also, als wäre es dem Blonden doch etwas ziemlich Unangenehmes. Das weckte natürlich Jadens Neugier, aber ihm war klar, dass nachfragen keinen Zweck hatte; es würde also wohl oder übel ein ungelöstes Geheimnis bleiben.

"Hm? Noch nicht. Naja, mal sehen, wie lange sich dein Optimismus noch hält", erwiderte Fay, während er sich zum Gehen wandte.
"Ich wünsche dir trotzdem noch viel Spass mit deiner Freizeit, die willst du bestimmt lieber mit deinen Freunden verbringen als mit mir", fügte er dann hinzu und winkte ohne zurückzuschauen, während er weiter in Richtung Wohnung lief.

Jaden zuckte nur die Schultern. "Wer weiß, vielleicht hab' ich ja auch einen großen Durchbruch und Leute aus aller Herren Länder reisen ein, nur, um mich spielen zu sehen", schlug er mit einem leichten Grinsen vor. Dass das garantiert nicht passieren würde, war ihm auch klar, aber hey, man durfte ja noch träumen.
"Ich hätte dich nicht davon abgehalten, mitzukommen", antwortete er Fay, der sich schon umdrehte. Vielleicht war der Traum als berühmter Straßenmusiker doch noch wahrscheinlicher als die Idee, dass Fay ja sagen würde, aber Jaden wollte zumindest eine Antwort abwarten.

"Ich weiss ja nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ich bin nicht gerade der Typ, der Freundschaften schliesst oder versucht, Leute kennenzulernen, die nicht reich sind. Also dann...", erwiderte Fay nur und lief weiter. Es war Zeit, zu seiner Freundin zurückzukehren und ihr weiter vorzugaukeln, dass er etwas empfand. Oder vielleicht sollte er versuchen, sein nächstes Opfer zu finden und dem-/derjenigen nahe zu kommen. Wie auch immer, es war Zeit, dass er seine gesamte Aufmerksamkeit wieder der Oberschicht zuwandte.

"Wie du willst", antwortete Jaden und zuckte die Schultern. Dann halt nicht.

Und wohin jetzt? In Ermangelung einer besseren Idee holte Jaden sein Handy hervor und schrieb ein paar seiner Freunde an. Irgendjemand würde schon Zeit haben, und vielleicht konnten sie ja wenigstens zusammen jammen.
Blieb die Frage, was er machen sollte, bis ihm jemand antwortete. Ein Spaziergang war natürlich immer eine Option, wenn da nicht das Problem wäre, dass die Instrumente auf die Dauer doch etwas schwer wurden. Dann eben in sein Stammcafé, immerhin war das auch nur zwei U-Bahnstationen weg - Nah genug, dass die Reise nicht zu viel Zeit dauern würde, aber immerhin würde es ihn für eine Weile aus dem Gebiet des Polizisten herausbringen.

Zurück in der Wohnung konnte Fay Lucy nirgends finden, also zuckte er nur die Schultern und machte es sich auf der Couch bequem. Es verging eine ganze Weile, bis er plötzlich eine wütende Männerstimme vernahm. "Wo is dieser Kerl?! Also wirklich, Lucy, es wird langsam Zeit, ihn in die Wüste zu schicken! Dieser...Kerl...ist doch kein Umgang für dich!" - "Aber..!" - "Kein 'aber', Lucy. Du tust gefälligst was ich sage!" Das klang gar nicht gut. Fay kniff leicht die Augen zusammen und stand auf, um näher an die Tür heranzugehen und besser hören zu können, wobei die beiden nicht wirklich zu überhören waren. Noch während er lief, ging die Tür plötzlich auf und der Rabenjunge stand einem sehr wütendem älteren Mann gegenüber, der ihm vage bekannt vorkam und vermutlich Lucys Vater war. "Duuuuuu! Was bildest du dir eigentlich ein, so mit meiner Tochter umzugehen?! Scher dich gefälligst raus und lass dich hier nie wieder blicken!" - "Vater! Das kannst du nicht machen!", protestierte Lucy, während Fay nur die Arme verschränkte und den Kopf leicht schief legte. "Und ob ich das kann. Hast du nicht gehört?! Geh gefälligst oder ich rufe die Security!" Obwohl Lucy weiterhin protestierte, bemerkte Fay, dass es offensichtlich keinen Sinn hatte. Und da er herzlich wenig Lust hatte, sich mit den Bodyguards anzulegen, also hob er nur die Hände und bewegte sich Richtung Ausgang, ohne noch ein Wort zu sagen. "Fay...", murmelte Lucy, während ihr Vater dem Jungen wütend hinterherblickte. "Und lass dich hier nie wieder blicken!"

Nachdem er aus der Wohnung gejagt worden war, lief Fay ein wenig ziellos umher, bis es anfing zu regnen. "Na toll...", murmelte er etwas frustriert und suchte sich ein Gebäude mit überstehendem Dach zum unterstellen. Bedauerlicherweise waren die Strassen relativ leer, die Chancen standen also eher mässig gut, dass irgendwer Mitleid mit ihm hatte und ihn kurzfristig aufnahm. Und zurückgehen, um ein paar Sachen zu holen, die er vielleicht verkaufen konnte, sodass er wenigstens ein wenig Geld hatte, war wohl auch keine sonderlich gute Idee. "So ein Mist", murmelte es zwischen zusammengebissenen Zähnen. Heute war definitiv nicht sein Tag.

Durch ein Fenster sah Jaden, wie es irgendwann zu regnen begann. Hm, das würde das mit dem jammen erschweren... Wobei, sie könnten sich im Zweifel immer noch in irgendjemandes Bude treffen. Vorausgesetzt, seine Kumpel hatten Zeit. Er schaut wieder auf sein Handy, und just in diesem Moment kam auch schon die erste Antwort - Mary zumindest hatte Zeit, und schlug auch gleich vor, dass sie alle zu ihr kommen sollten. Also zahlte Jaden schnell seine Rechnung in der Bar und machte sich auf den Weg.

Ein paar andere Freunde fanden sich auch ein, und ehe Jaden und die anderen sich versahen, war es schon später Nachmittag - Und er hatte noch keinen Cent verdient! Entsprechend verabschiedete Jaden sich und machte sich wieder auf den Weg... Auf den Weg wohin? Wieder an seine Lieblingsecke lieber nicht... Bei Regen brauchte er auch definitiv einen Unterstand. Und einen Ort, wo trotzdem Leute langkamen... Irgendeine U-Bahnstation vielleicht? Aber bis er die Entscheidung gefasst hatte, lief Jaden etwas ziellos durch die Straßen.

Während Fay so an die Wand gelehnt da stand und überlegte, was er jetzt machen sollte, stach ihm plötzlich eine vorbeigehende Person ins Auge, die ihm vage bekannt vorkam. Er spürte, wie die Panik in ihm aufstieg, und versuchte sich zu beruhigen. Das ist unmöglich, das kann nicht er sein...ganz ruhig, Fay.
Bedauerlicherweise half das überhaupt nicht, denn Fay spürte nur, wie seine Panik sich verschlimmerte und den Drang, von hier wegzukommen. Was er auch prompt in die Tat umsetzte. Den Regen nahm er gar nicht richtig war, während er einfach nur ziellos geradeaus lief, Augen auf den Boden gerichtet.
Bis sein Lauf unerwartet beendet wurde, als er spürte, dass er in etwas hineingelaufen war. Oder besser, jemanden. Sein Hirn brauchte eine Weile, bis er die Person vor sich zuordnen konnte, doch dann erkannte er den Musiker.
"S-sorry...", murmelte er etwas verdutzt, immer noch leicht in Panik, und seine Stimmer zitterte etwas, was vermutlich seinem allgemein zitterndem Körper zu verschulden war.

Jaden stoppte, als er eine bekannte blonde Gestalt auf sich zulaufen sah. Und dann direkt gegen ihn. Huh?
Als er sich dann entschuldigte, stellten Jaden sich die Nackenhaare auf. Fay hatte recht eindeutig Angst vor irgendwas, und zwar große. Was ein Glück kannte Jaden einen ganzen Haufen Verstecke in der Stadt.
"Komm mit." Und damit griff er einfach Fays Hand und zog ihn mit sich, darauf bedacht, das eigene Tempo an Fays anzupassen. Hier um die eine Ecke, da um die andere, und über einen selbst bei diesem Wetter noch halbwegs belebten Platz. Das brachte die meisten Verfolger zumindest kurzzeitig aus dem Gleichgewicht. Dann weiter und runter zur nächsten U-Bahnstation; Jaden hielt sich gar nicht erst mit einem Ticket auf, sondern sprang einfach hinein, das alles ohne Fays Hand loszulassen.
"Okay, wer auch immer dich erschreckt hat, sollte uns hierher nicht gefolgt sein."

Fay war etwas verdutzt, als Jaden ihn plötzlich mit sich zog, wehrte sich aber nicht, vermutlich weil seine immer noch vorhandene Panik seine Denkprozesse etwas verlangsamte.
Nachdem sie endlich stehen blieben, beugte sich Fay sich erstmal vor und versuchte tief Luft zu holen und sich wieder zu beruhigen. Als er spürte, dass seine Panik langsam verflog und er nicht mehr allzu sehr zitterte, richtete er sich wieder auf und sah sich um. Es war zwar höchst unwahrscheinlich, dass die Gestalt, die er gesehen hatte, tatsächlich sein Vater war, immerhin sollte der noch immer im Gefängnis sitzen, aber er wollte trotzdem sicher gehen, dass er sich nicht in der Nähe befand. Wahrscheinlich war außerdem, dass die Gestalt ihm bloss ähnlich gesehen hatte, zumindest hoffte Fay das und tatsächlich kam ihm niemand in der Gegend hier bekannt vor. Naja, außer Jaden. Der immer noch seine Hand hielt. Als Fay das bemerkte, spürte er, dass er leicht rot anlief, und noch während er seine Hand wegzog drehte er leicht den Kopf weg. "D-Danke", murmelte er dann mit verschränkten Armen, immerhin hatte Jaden ihm geholfen, warum auch immer.

Jaden zuckte die Schultern. "Kein Ding."
Erst jetzt sah er überhaupt nach, in welche U-Bahn sie da gesprungen waren - Für den Augenblick war "Weg!" wichtiger gewesen als ein genauer Plan wohin. Es war sogar die Linie, die grob in Richtug von Jadens Wohnung führte. Passend. Nur sollten er und Fay vielleicht Tickets besorgen, wenn sie bis dahin fahren wollten.
"Darf man fragen, was dich so erschreckt hat? ... Oder was du generell bei so 'nem Wetter draußen gemacht hast?" Nach dem, was er so erzählt hatte, hätte Jaden erwartet, dass Fay sich bei Regen lieber in 'ner Luxusvilla ausbreitete.

Bei Jadens Frage erstarrte Fay kurz. Er sprach nicht gern über seine Vergangenheit und zugeben, dass er rausgeworfen wurde, wollte er auch nicht recht. Nach einem Moment seufzte er dann und antwortete trotzdem. "Man hat mich rausgeworfen. Der verrückte Alte war wohl kein großer Fan von mir", erklärte er, ohne weiter auf die erste Frage einzugehen.

"Hm." Jadens Neugierde war geweckt worden, aber wenn Fay darüber nicht reden wollte, dann war das wohl so. "Hast du 'nen anderen Ort wo du hinkannst?"

Fay musterte Jaden kurz bei seiner Antwort, aber der schien tatsächlich einfach aufrichtig interessiert zu sein.
"Nicht wirklich...", murmelte Fay und wandte den Blick wieder ab.

Das war natürlich eher unpraktisch. Jaden dachte kurz nach. Er konnte Fay ja definitiv nicht einfach auf der Straße sitzen lassen. Schon gar nicht, nachdem was-auch-immer ihn so erschreckt hatte; es bestand eindeutig das Risiko, dass das nochmal passierte und nicht so gut ausging.
"Willst du erstmal mit zu mir kommen?", fragte er und zuckte die Schultern. "Es ist nicht annähernd so luxuriös wie das, was du gewohnt bist, aber immerhin gibt's ein Dach und fließend Wasser."

Fay überlegte eine Weile, bevor er antwortete. Zum Einen hatte er nicht wirklich eine Wahl, es sei denn er wollte irgendwo auf der Strasse im Freien übernachten. Zum Anderen taten Menschen in seiner Erfahring nie etwas, ohne etwas im Gegenzug zu verlangen. Und Fay hatte momentan nicht gerade viel, was er Jaden geben konnte. "Ich kann dich aber nicht bezahlen", antwortete der Rabenjunge dann und sah zu Jaden, um dessen Reaktion abzuwarten. Vermutlich würde er sich wohl damit abfinden müssen, im Freien zu schlafen, aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt.

Jaden zog irritiert die Augenbrauen zusammen. "Ich bin kein Hotel, ich brauch doch keine Bezahlung." Gut, normalerweise, wenn Jaden wem eine Bleibe anbot, war das ein guter Freund, aber hey. Fay brauchte nen Ort, wo er 'ne Nacht pennen konnte, und Jaden hatte ein Sofa. "Also, was sagst du? Kommst du mit?"

Fay überlegte eine Weile. Er war sich nicht sicher, warum, vor allem da seine Erfahrung ihm etwas anderes gezeigt hatte, aber er glaubte Jaden. "Hm...also gut", erwiderte er. "Ist ja nicht so, als hätte ich großartig eine andere Wahl, im Freien schlafen ist nicht so meins", fügte er dann noch hinzu.

Jaden nickte und warf einen Blick auf die Anzeige. Die Übernächste wäre es schon - oder die nächste, wenn er noch einkaufen wollte. "Nächste müssen wir raus, dann kommen wir auf dem Weg gleich am Supermarkt vorbei", teilte er Fay mit. "Dann kannst du gleich mitentscheiden, was es zu essen gibt."

Fay starrte Jaden eine Weile irritiert an, noch nie hatte ihm jemand einen Platz zum Schlafen und dazu noch Essen angeboten, das er nicht hatte in irgendeiner Weise bezahlen müssen, schon gar kein Fremder, dem er vielleicht 3 oder 4mal über den Weg gelaufen war. "Erst ein Dach über dem Kopf und dann noch ein kostenloses Abendessen? Du ermordest mich aber nachher nicht heimlich im Schlaf oder hast irgendwelche weirden Vorlieben oder so?", fragte er, mit der Andeutung eines Grinsens auf den Lippen. Welche allerdings nur ein paar Millisekunden blieb, bevor er bemerkte, wie schnell er sich durch Jaden's Anwesenheit beruhigt hatte. Die Anwesenheit eines, nun ja, immer noch Fremden. Merkwürdig.

"Würde ich dich ermorden wollen, bräuchte ich mir die Arbeit mit dem Essen nicht machen", konterte Jaden, ebenfalls mit einem leichten Grinsen. "Und weirde Vorlieben... Keine, die dich interessieren brauchen." Er zuckte die Schultern; er hatte sicher nicht vor, sich an Fay ranzumachen, während der seine Hilfe brauchte.
Bald stoppte die U-Bahn wieder. "Komm, hier lang." Diesmal nahm Jaden nicht Fays Hand, schließlich war die Situation jetzt deutlich ruhiger, sondern führte ihn einfach so zum Supermarkt. "Essenswünsche? Ein Fünf-Sterne-Menü kann ich dir nicht anbieten, aber vielleicht gibt's ja irgendwas, was du gerne magst."